Brandenburg
Michael Aust und Michael SchwinningEigenproduktion
Dr. Hugo Rosenthal Oberschule, Hohen Neudorf
Theater AG „MENSCHENsKINDER"
Spielleitung: Ulrike Hanitzsch
LATINA, 60 Min.
Die sieben Spieler*innen der Brandenburger Gruppe präsentierten eine temporeiche, unterhaltsame Szenenfolge zum allmächtigen Sog der Social-Network-Angebote gerade für Jugendliche. Die Bestandsaufnahme des Status Quo ist ein pointierter Rundumschlag gegen diesbezügliche Formate. Thematisiert wird die Sucht nach „likes" und der daraus resultierenden Wertorientierung in Bezug auf Personen und Dinge, die mit einem „Gefällt mir" geadelt werden und solche, die man „haten" muss. Snapchat ist das Medium, mit dem den Followern ständig mittels Foto mitgeteilt werden muss, dass man gerade großen Spaß hat und sehr interessante Dinge isst. Instagram nötigt zum ständigen Selfie-Posten mit immer neuen Filtern, die es ermöglichen, notfalls auch mehrmals täglich das eigene Antlitz mit Neuigkeitswert zu verschicken.
Das Publikum wird bereits beim Einlass durch eine Projektion auf den Bühnenhintergrund eingestimmt, die die „Facebook-Cartoons" des polnischen Karikaturisten Pawel Kuczynski zeigt.
Die zentrale Bühnenbildidee der Gruppe sind sieben offene Holzkisten im Format 60x100cm. Alle Außenflächen sind mit einer Ziegelmauer-Folie beklebt, die Öffnungen auf der Vorderseite ermöglichen, dass die Spieler*innen sich in die aufrecht gestellten Kästen setzen können. Und genau auf diese Weise beginnt das Stück: Sieben junge Menschen in ihren eigenen Kisten, beschäftigt mit den dringlichsten Handyangelegenheiten. So wird dann räumlich sichtbar, dass die gesprochenen „Posts" eitle Selbstdarstellung sind. Die Spieler*innen sprechen unmittelbar dazu Wahrheiten über sich im Flüsterton, der in der Kiste bleibt, eine Art „Fact and Fiction"-Montage. Später werden alle sich gegenseitig Party-Selfies zeigen, die deutlich machen, dass diese Dokumentation des Abends wesentlich wichtiger ist als die tatsächlichen Erlebnisse. Was nicht fotografiert wurde, hat praktisch nicht stattgefunden.
Die erwähnten Kästen werden das ganze Stück hindurch multifunktional eingesetzt, bilden das Bühnenbild als Mauer, U-Bahn-Abteil, Chill-Ecke. Die nötigen Umbauten werden schnell und unaufgeregt nebenbei erledigt, Beispiel schneller Verwandlung in stilisierte Räume der Realität.
Noch einmal zurück zum Beginn.
Da stellt uns eine Off-Stimme die Protagonist*innen einzeln vor, mit der typisch ironisch distanzierten Stimme, die aus marktschreierischen Kuppelshows im TV sattsam bekannt ist. („Ja, sie alle sind noch Singles!“) Obwohl diese Off-Stimme nicht wieder eingesetzt wird, setzt sie doch den Ton für den Aufbau der Produktion: Es ist eine Show, eine „Nummern-Revue". Das mag auch der Grund sein, warum fast die gesamte Spielzeit hindurch die Projektionen im Hintergrund weiterlaufen und so ein weiterer Raum geschaffen wird, der oft die Aufmerksamkeit des Publikums absorbiert. Die Bilder des Hintergrundes illustrieren häufig die Spielszenen auf der Bühne. Spielt eine Partyszene in der Disko, sehen wir eine hektische geschnittene Diskoszene – mit übrigens deutlich älterem Partyvolk. Spielt eine Szene in der U-Bahn – eine Adaption einer Sequenz aus „Linie 1" – erhalten wir eine visuelle Einführung aus einem Bahnhof der BVG. In anderen Momenten der Handlung werden einfach weitere Cartoons und abstrakt stimmungsvolle Bilder gezeigt, die in keinem erkennbaren Kontext zur Bühnenhandlung stehen. Es scheint, als ob die Sorge bestand, die Schüler*innen alleine seien nicht interessant genug. Das Gegenteil ist der Fall. Die Spieler*innen sind sehr klar und präsent, gerade auch in den Sequenzen, die nicht mehr so sehr Showcharakter aufweisen, sondern eher biografisch angelegt zu sein scheinen. Die Kommentar- und Illustrationsebene der sehr großen und dominanten Leinwand ist geeignet, das Bühnengeschehen zu sabotieren. Es ist der Gruppe anzurechnen, dass das nicht wirklich gelingt.
Das Stück wird hauptsächlich getragen von schnell montierten Dialogen („Mit 7 Facebook-Freunden bist du voll einsam. Versuch es doch mal mit Filtern.") und authentisch wirkenden Monologen („Immer kommst du zu spät und sagst nur ‚sorry‘. Meinst du, das reicht?“)
Im weiteren Verlauf lenkt die Inszenierung die Perspektive auf das universelle Thema des Erwachsenwerdens unter Verwendung von Elementen aus Fremdtexten, die poetischer Natur sind. In dieser Phase haben die Kästen keine bildhafte Bedeutung mehr, sie werden, wenn überhaupt, benutzt zum Aufbau unterschiedlicher Ebenen, auf denen sich die Sprecher*innen platzieren.
Es bleibt zu konstatieren, dass großformatige Projektionen, insbesondere mit bewegten Bildern, vorsichtig und bewusst eingesetzt werden müssen. Sie dürfen kein paralleler, unabhängiger Handlungsraum werden, sondern müssen sich dem Bühnenbild visuell und thematisch unterordnen, in dem „live" gespielt wird.
Die Brandenburger Gruppe überzeugt durch eine Vielzahl von Ideen, die präsent szenisch umgesetzt werden. Dabei beweist die Gruppe auch die Fähigkeit zur Reflexion eigenen Verhaltens und überzeugt durch ihren Humor, der sich wie ein roter Faden durch das Stück zieht.