Editorial
Tilmann Ziemke und Christiane MangoldLiebe Leserinnen und Leser,
der FOKUS geht online. Sie sitzen vor der ersten digitalen Ausgabe des FOKUS, der mit dem Eintritt ins zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts als multimediale Online-Publikation erscheint.
Vor etwa anderthalb Jahren hat der BVTS als Herausgeber des FOKUS nach langen intensiven Diskussionen im Vorstand beschlossen, diesen Schritt in die Zukunft zu wagen, ohne genau zu wissen, wie schwierig das sein wird – sprich Technik und Zusammenarbeit mit den Autor*innen – und wie das von den Leser*innen angenommen werden wird. Es gibt nach wie vor viele Menschen unter uns, nicht zuletzt wir gehören auch dazu, die den FOKUS gerne in die Hand genommen, sich in einen bequemen Sessel unter die Stehlampe gesetzt und bei einer Tasse Fixbutte im schön gestalteten Heft geschmökert haben.
Das neue Format jedoch bietet vielfältige Möglichkeiten: Wir können in den einzelnen Beiträgen zum vergangenen SDL und dem jeweiligen Thema Medien wie Fotos und Videos, die das geschriebene Wort veranschaulichen, direkt mit dem Text verknüpfen, wir können Links und Unterkapitel einbauen, die bestimmte Aspekte vertiefen und weitergehende Recherchen ermöglichen. Das ist besonders hilfreich bei den Projektberichten zu den ausgewählten Produktionen, eröffnet aber auch den Impulsreferaten und Essays ganz neue Wege.
Daraus ergibt sich eine Neuorientierung des FOKUS, die stärker als bisher der Praxis verpflichtet ist. Wir hoffen, dass sich der neue FOKUS direkt im Theaterunterricht einsetzen lässt. Er soll Teil eines Digitalen Forums werden, das neue Räume im Schultheater erschließt, indem es die digitalen Möglichkeiten nutzt und sich dabei verstärkt an den Bedürfnissen der Theaterlehrer*innen orientiert.
Unser Partner ist dabei das Eichstätter „Institut für digitales Lernen“, das uns berät und die Technik zur Verfügung stellt.
Neben den vielfältigen Möglichkeiten hat die neue Publikationsform auch den Vorteil, dass wir früher als bisher erscheinen können: War bisher der neue FOKUS kurz vor dem folgenden SDL zu erhalten, so wird er in Zukunft im März online gehen, also nur ein halbes Jahr nach dem Festival.
Eine weitere grundlegende Neuerung ist der Preis: Der neue FOKUS ist allen Interessenten zugänglich und kann ohne Registrierung oder weitere Auflagen kostenlos genutzt werden. Wir hoffen auch, dass mit diesem kostenlosen Angebot eine weitaus höhere Nutzung des FOKUS für unterrichtliche Zwecke einhergeht, um so das Theater in Schulen weiterhin zu stärken.
Der erste Online-FOKUS konzentriert sich auf das SDL-2019-Festival-Thema „Raum“. Das Thema „Raum“ beherrscht zur Zeit der Veröffentlichung des FOKUS 19 unser aller Leben. Der öffentliche Raum ist wegen der Corona-Pandemie zum verbotenen Raum geworden, wir leben praktisch in Quarantäne, die Grundrechte sind außer Kraft gesetzt. Wir sind zurückgeworfen auf die eigenen vier Wände, auf den privaten Raum. Kulturelle Veranstaltungen finden – wahrscheinlich auf lange Zeit – nicht mehr statt.
Mit dem Thema „Raum“ hat sich das Schultheater der Länder zum vierten Mal beschäftigt. Nach 1994 in Frankfurt (Spielräume), 1997 in Dresden (Theater auf der Straße) und 2009 in Hamburg (spiel:platz = stadt:raum – Theater im öffentlichen Raum) hieß es jetzt in Halle: Raum.Bühne. Während es in Frankfurt, Dresden und Hamburg vor allem darum ging, die Schulbühne zu verlassen und freie Spielorte zu entdecken, wendete sich der Blick in Halle wieder verstärkt dem Innenraum Bühne zu: Der gestaltete Bühnenraum oder besondere Raumkonzeptionen standen im Mittelpunkt. Die Fachtagung wollte dazu ermutigen, den Bühnenraum als eigenes Gestaltungselement einer Inszenierung zu begreifen.
Es stellte sich aber auch die Frage, inwieweit dies angesichts knapper finanzieller Mittel und beschränkter Zeitressourcen überhaupt realistisch ist. Die strukturellen Veränderungen von der Theater-AG zum in den Unterricht eingebetteten Theaterkurs haben dazu geführt, dass kaum Zeit bleibt, sich mit der Gestaltung des Bühnen- und Spielraums ausführlich zu befassen. Wie kann dann der Raum zum zentralen Inhalt werden?
In den essayistischen Beiträgen setzen sich André Studt und Ole Hruschka kritisch mit der Frage auseinander, welche Rolle der Raum im Schultheater respektive in den Aufführungen in Halle spielt. Christoph Scheurle und Johannes Kup befassen sich dagegen mit den Gesprächsräumen des Festivals, indem sie unterschiedliche Formate der Aufführungsbesprechungen in den Blick nehmen. Birgit Wiens bietet in der Rubrik Fachimpulse und Fachdebatte einen Einblick in Entwicklung und Tendenzen der zeitgenössischen Szenographie des professionellen Theaters. Michael Aust und Michael Schwinning stellen in den Berichten und Analysen die Spielstätten in Halle vor und zeigen in ihren analytischen Aufführungsbeschreibungen, wie die „Welt ins Theater geräumt“ wurde. Im Kapitel Methodik und Didaktik geht es in den Workshopberichten von Tilmann Ziemke und Nick Doormann um das Thema Bühnenbild, während Liz Rech Rauminstallationen an Alltagsorten in den Fokus nimmt. Fünf Spielleiter*innen geben schließlich in ihren Projektberichten didaktische und methodische Einblicke in ihre Theaterarbeit. Neu ist der letzte Teil Service, der sich in zwei Beiträgen mit den Themen Theater-Fachraum und Sicherheit beschäftigt.
Unsere anfängliche Skepsis und unsere Berührungsängste dem neuen Online-Format gegenüber wichen im Laufe der Zeit einer Erkundungsfreude und dem Spaß an der Arbeit angesichts vieler neuer sich öffnender Fenster. Sicherlich haben wir dabei noch nicht alle Möglichkeiten des neuen Formats ausgeschöpft. Wir hoffen aber, dass auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich mit dem Neuen anfreunden, es freudvoll nutzen können und das alte Format nicht vermissen. Der Fokus mag in diesen Zeiten geschlossener Räume Trost und Zeitvertreib sein und der Horizonterweiterung dienen. Wir freuen uns über Rückmeldungen an unsere im Autorenverzeichnis angegebenen E-Mail-Adressen.
Christiane Mangold und Tilmann Ziemke