Bayern

Michael Aust und Michael Schwinning

Kasimir und Karoline

Eigenproduktion frei nach Ödön von Horvath

Dientzenhofer Gymnasium, Bamberg

Oberstufentheatergruppe

Spielleitung: Dominik Stoecker, Ludwig Bieger

LISA, 60 Min.

Auf den Zeppelin was scheißen

Das im Schultheater oft adaptierte Stück spielt in einer Nacht auf dem Oktoberfest. Das titelgebende Paar entstammt wie auch die anderen Protagonisten des Stückes der Unterschicht. Der Besuch der Wiesn zeitigt allerdings keine Leichtigkeit, keine Entspannung vom Alltag, sondern lässt die Beziehungen kulminieren. Die Beziehung der Titelfiguren war schon vorher brüchig, hier trennt sich Kasimir von Karoline aus einem Gefühl der Minderwertigkeit, sie wendet sich enttäuscht einem anderen Bewunderer zu. Es wird klar, dass alle Entwicklungen ihren Ursprung in der unsicheren wirtschaftlichen Lage haben, aus der eine diffuse Sehnsucht nach einem besseren Leben ohne den Partner erwächst, somit eine verzweifelte Grundstimmung die Szenen beherrscht.

Die Gruppe aus Bayern demontiert den Verlauf der Vorlage weitgehend - setzt ihn wohl auch als bekannt voraus - wählt spezifisch relevante Textpassagen aus, die zergliedert, neu montiert und oft chorisch präsentiert werden. Es spricht für die Professionalität der Gruppe, dass die Progression der Handlung dabei durchaus erkennbar bleibt.

Angelpunkt der Inszenierung ist die szenische Realisation des Handlungsortes Oktoberfest. Ähnlich der Bremer Gruppe bauen die Bayern eine Arenabühne in der Mitte des Veranstaltungsraumes auf einer Fläche von etwa 10x3 m. Diese Spielfläche wird mit Flatterband zum Publikum hin abgegrenzt, das um diese Begrenzung herum in mehreren Reihen sitzt. Die Bühnenfläche ist nicht erhöht, so dass sitzende oder liegende Akteure schlecht gesehen werden können, daher vermeidet die Inszenierung auch derartige Aktionen. Dafür gibt es an den diagonalen Enden der Bühne Stufenpodeste, auf denen auch mehrere Spieler*innen Platz finden. Zum Bühnenbild gehören weiterhin fünf rote Stühle, die flexibel eingesetzt werden, wenn es darum geht, Nähe- und Distanzverhältnisse optisch zu repräsentieren. Die handelnden Figuren agieren auf und mit den Stühlen und ermöglichen so einen Fokus für Zweierszenen, während das ganze Ensemble anwesend bleibt. Der Gesamteindruck dieser Bühne erinnert an einen Boxring, eine Kampfarena, in der soziale Kontakte als Konfrontationen ausgetragen werden. Die unterscheidbaren individuellen Rollen werden im Ensemble durchgetauscht, wodurch die Beziehungsprobleme auf eine allgemeine Ebene gehoben werden. Die Gruppe ist permanent in Bewegung, es gibt keine Sekunde, in der nicht Blickachsen quer über die Spielfläche etabliert werden. Vor allem durch die zahlreichen chorischen Elemente entsteht der Kontext des Rummels und seiner Attraktionen. In Entsprechung der abstrakten Lösung für den Ort Rummelplatz treten die Spieler*innen in durchdacht formaler Strenge auf: schwarze Hose, weißes Hemd, Hosenträger (Zimmererkleidung), keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in Kostüm und Schminkmaske: schwarze Lippen.

Erwähnenswert ist außerdem, dass der so etablierte Raum, der das Oktoberfest als geschlossene Spielwiese innerer Spannungen einführt, durch musikalische Elemente verstärkt wird, etwa durch ein Geigenspiel live direkt vom Rand der Arena, aber sinnstiftend mehr noch durch einen Schlagzeuger, der durch ad libitum gesetzte Trommelschläge szenische Momente kommentiert, quasi eine Unterstreichung von Momenten, die der Percussionist hervorgehoben wissen will.

Besonderen Wert legt die Gruppe auf das Textelement der Vorlage, in dem ein Zeppelin am Himmel über dem Geschehen erscheint und lange Zeit über dem Geschehen am Boden schwebt. Dieses Textfragment inszeniert die Gruppe mit zerdehnten und rekurrierenden sprachlichen Mitteln, es wird immer wieder ins Bewusstsein des Zuschauers gerückt als Kristallisationspunkt der Entfernung der Reichen und Mächtigen der Welt von diesem als Jammertal erlebten Alltag auch bei der Wiesn.

Die formal strenge und kompakte Inszenierung zeigt eine nahezu optimale Verwendung einer Arenabühne, die einen - sehr lebhaften - Ort allein mit darstellerischen Mitteln in alle Spielrichtungen etabliert und gleichzeitig einfache Mittel findet, handlungstragende Dialogszenen einzelner Figuren in die Gesamtheit des szenischen Flusses zu integrieren.


format_list_numbered