Projektbericht Berlin:
Der Bau
Sabine KündigerEigenproduktion nach der gleichnamigen Erzählung von Franz Kafka
Rosa-Luxemburg-Gymnasium
Berlin
Grundkurs Darstellendes Spiel jahrgangsübergreifend 10 - 12
Mitwirkende:
10 Schülerinnen und 4 Schüler
Spielleitung: Sabine Kündiger
Die beteiligten Spieler*innen sind Schüler eines jahrgangsübergreifendes DS-Kurses, der die Klassenstufen 10 - 12 umfasst. Der benotete Kurs findet wöchentlich 3-stündig statt und führt die Beteiligten zum Abitur, das sie im 4. Prüfungsfach oder als 5. Prüfungskomponente (Präsentationsprüfung) ablegen können.
Wir arbeiten immer montags ab 16:00 Uhr. Das ist zwar eine für den Schulalltag späte Zeit, vor allem, wenn man seit acht Uhr Unterricht hat, diese Zeit tut uns aber gut: das Schulgebäude ist dann fast leer und wir haben Ruhe und viel Platz, um uns „theatral auszubreiten“.
Didaktisch-methodisch folgt der Unterricht dem Rahmenlehrplan Sek II der Berliner Oberschule. Zwischen den Jahrgangsstufen wird im Anforderungsniveau differenziert; die Lernerfolgsziele treten erfahrungsgemäß auf Grund des gemeinsamen Lernens in den verschiedenen Altersgruppen jedoch schneller und effizienter ein als in jahrgangsgleichen Gruppen. Die Älteren haben für die Jüngeren Vorbildfunktion; sie sind ihnen ja in ihren Erfahrungen in der Regel (ob sozial oder fachlich) voraus – die Jüngeren fügen sich schneller in die Gruppe ein, da ihnen selbstverständliche Rituale, Unterrichtsabläufe usw. bereits routiniert „vorgelebt“ werden. Diese Abläufe werden in der Regel gerne angenommen, da die Älteren sehr motiviert und „mitreißend“ arbeiten.
Bis zu den spielpraktischen Klausuren im Dezember 2018 erlangten die Schüler*innen Kenntnisse und Fertigkeiten vor allem zu den Modulen „Körper und Bewegung“ sowie „Raum und Bühne“. Schwerpunkte der weiteren Arbeit waren die Beschäftigung mit dem Autor Franz Kafka, seinem Leben und seinem erzählerischen Werk, die Dramatisierung von epischen Texten und die Arbeit mit Material und Objekt.
Bereits der Titel der Erzählung Kafkas – Der Bau – eröffnet die Vorstellung eines besonderen Raumes: Der Protagonist, ein „Wesen", hat sich einen unterirdischen Bau errichtet, der es vor Angriffen, Feinden und anderen Gefahren schützen soll. In einem inneren Monolog berichtet das Wesen von der Errichtung seiner Festung und den vielen Überlegungen, die es anstellt, um den Bau so sicher wie möglich zu herzustellen und Vorräte anzuhäufen. Viele Sorgen und Ängste vor den zahlreich erwarteten Gefahren lassen es immer wieder innehalten; eine eben noch empfundene Euphorie über eine erledigte Aufgabe kann schnell einer erneut aufkeimenden Angst davor weichen, dass der Bau unzureichend ist und es nicht schützen wird. Nach und nach wandeln sich die ambivalenten Empfindungen in paranoia-ähnliche Zustände: ein undefinierbares und nicht verortbares Geräusch bringt das Wesen schließlich in eine Endlosschleife zwischen sofort erwarteter Endzeit und hoffendem Bangen, dass „der Feind“ vorüberziehen möge.
Die Figur des Wesens wurde abwechselnd von allen Mitspielern in einer Figurenvervielfältigung verkörpert. In jeder Szene ist die Zusammensetzung der Mitspielenden eine andere; so wurde eine vielfältige (soziale) Mischung der Gruppe ermöglicht.
Mit unserer Interpretation übertragen wir die Gedankengänge des Protagonisten, die sich – genau wie sein Bau – in labyrinthischen Verstrickungen befinden, in Bilder und Bewegungen. Euphorischer Aktionismus wechselt sich dabei immer wieder ab mit Sorge und Verzweiflung. Diese Ambivalenzen können jedoch nur zu der bitteren Erkenntnis von der Unmöglichkeit absoluter Sicherheit führen.
Der Reiz und die Herausforderung bestehen vor allem in der Umsetzung des Gedankenstroms – zum einen im körperlichen Spiel, zum anderen in der Gestaltung und Fassbarkeit von Innen- und Außenraum. Körpertechniken und Bewegungsmechanismen sollen den Eindruck von Enge, Einsamkeit und Unsicherheit vermitteln, der Umgang mit Material und Objekt hilft dabei. Die Absurdität des Daseins des „Wesens" im ständigen Wechsel zwischen Sicherheit und Verlorenheit eröffnet verschiedene Wahrnehmungsräume – für ihre Abbildung und sinnliche Übertragung erschaffen wir kollektive choreografische körperliche Ausdruckformen.
Kafkas Kurzprosa wurde im Deutschunterricht der 10. Klassen gelesen und behandelt. Die Schüler*innen dieser Klassenstufe brachten daher ein großes Interesse für eine theatrale Auseinandersetzung mit, werden im Text doch Bereiche einer (Gedanken-) Welt sichtbar, die sie ohne Weiteres auf ihr eigenes Leben sowie auf Beobachtungen ihrer Umwelt übertragen können. Sehr schnell fanden alle Jahrgangsstufen des Kurses Gefallen an einer Beschäftigung und Umsetzung.
Mit den Spieler*innen wurde Einigung darüber erzielt, dass es notwenig sei, die gesamte Erzählung noch einmal zu lesen – zum besseren Verständnis des Textgehaltes wie auch auch aus Respekt vor der Urheberschaft Kafkas.
Dabei sollten folgende Fragen helfen:
Im Anschluss an die gesammelten Eindrücke, Assoziationen und Interpretationsansätze sollten Schüler*innen die Textabschnitte benennen, die sie beim Lesen am meisten gefesselt und zu denen sie eine besondere Beziehung hatten:
Ergebnisse:
Zu den oben genannten Abschnitten wurden dann später in Gruppen Szenen entwickelt. Die Fotos in der Galerie zeigen Beispiele.
In einem nächsten Schritt wurden konkretere Ideen zu den Aspekten Figur und Haltung – Körpertechnik – Rhythmus und Bewegung – Raum – Kulissen – Requisiten und Material – Themen und Motive erarbeitet.
Einen wesentlichen und essentiellen Schwerpunkt der Erarbeitung bildete die Beschäftigung mit dem Raum und seiner Disposition auf der Bühne.
Für die Spielzeit vorgegeben war von schulorganisatorischer Seite eine feste und unbewegliche Konfrontationsbühne in unserer Aula; es war demzufolge klar, dass die Zuschauer einen frontalen Blick auf das Geschehen erhalten werden. Wir machten uns Gedanken darüber, dass ein Bau, eine Höhle, wie sie der Originaltext vermittelt, eine einigermaßen runde Form hat. Somit lag die Idee nahe, den Bühnenraum wie einen Aufschnitt, ein halbiertes Teil, zu präsentieren. Uns standen 10 Aufsteller mit schwarzem Bühnenmolton zur Verfügung, die wir halbkreisförmig nebeneinander anordneten, mit Zwischenräumen, die ein „Hinein- oder Hinausschlüpfen“ der Figuren ermöglichen sollten.
So sollte der Eindruck entstehen, dass dieser Halbkreis ein zentraler „Handlungs-Platz“ innerhalb eines jedoch viel größeren „Baus“ ist, der sich auch noch weit hinter den Aufstellern befindet. Die Vorstellung eines Labyrinths mit vielen abzweigenden und dann irgendwo wieder zusammenführenden Gängen bewegte unsere Figuren im Spiel sowohl sichtbar vor als auch weniger sichtbar hinter den Wänden.
Ein weiteres Thema war das Suchen nach den Bewegungsmöglichkeiten, die der installierte Raum bot; die realen Bühnenbedingungen wurden nun in einen Einklang mit den inhaltlichen Aussagen unserer Interpretation gebracht. Der Bau und/oder die Feinde sind alles beherrschend. Es gibt viele Gänge, die Handlung besteht in einem ständigen Bewegen des Wesens im Labyrinth. Die Vorstellung dieses Labyrinths in einer Höhle mit engen und niedrigen Gängen ließ uns entsprechend angepasste Körperhaltungen entwickeln: Das Wesen läuft in gebückter Manier hin und her, und macht durch eckige Bewegungen und zackiges, rechteckiges Laufen, die Begrenztheit der Fortbewegungsmöglichkeiten deutlich. Eine klare Bodeneinteilung in exakter geometrischer Durchstrukturierung ermöglichte symmetrisches, geometrisches Laufen in Spiralen, Dreiecken, Vierecken.
Aus den von den Schüler*innen angefertigten Beispielen (siehe Fotos oben zu den schriftlichen Arbeitsergebnissen) wird ersichtlich, dass sie gerade in Bezug auf den Ort und die zu verwendenden Materialien von einer starken Realitätsbezogenheit ausgingen. Da die Auswahl organischer Mittel wie Erde, Blätter, Zweige, deren Herbeischaffen und „Verfall“ einigen Aufwand befürchten ließ, gelangten wir schließlich zu der Idee, dass Papier, dem ein ebenfalls organisches Material (Holz) zugrunde liegt, eine gute Alternative bietet. Der Schritt zur Entscheidung für die Verwendung des Materials Zeitungspapier war dann nicht mehr weit, zumal sich auch viele andere mögliche inhaltliche Bezüge zum Stück fanden (z.B.: Das Wesen ist ein „Messie“; es sammelt Zeitungen, liest die Anzeigen, deckt sich damit zu usw.). Schließlich fiel die Entscheidung, das Zeitungspapier als einziges Material zu verwenden und ihm eine Multifunktionalität zuzuweisen. So wurde es zu
Außerdem wurden die zur Verfügung stehenden 10 Aufsteller vollständig mit Zeitungspapier beklebt (eine langwierige, aufwändige Arbeit: Zeitung, zerknüllen, bauschen und mittels Klebstoff aus einer Klebepistole anbringen). Aufgrund der in ähnlicher Farbgebung gewählten Kostüme entstand der Eindruck des fast vollständigen Verschwindens und Verschmelzens mit dem Bau, wenn sich die Figuren nah an den Wänden aufhielten.
Zusätzlich begrenzten wir die vordere Bühnenkante mit aufgeschichtetem Zeitungsmaterial, um so den „Burgwall“ anzudeuten. Gleichzeitig konnten sich die Figuren auch gut im vorderen Wall verbergen.
Hinweis: Weitere Informationen zum Herangehen an die Arbeit mit Material und Objekt finden sich im Grundlagenbuch „Praxis Schultheater“ auf den Seiten 204 ff.
Erarbeitet in eurer Gruppe auf der Grundlage des vorgegebenen Textes eine szenische Sequenz zur Situation des Wesens in seinem Bau.
Arbeitet mit
Die Problematik der Erarbeitung bestand vor allem darin, den vielschichtigen Text in klare Handlungsabläufe über- und umzusetzen sowie eine Raumstruktur zu schaffen, die Bildhaftigkeit und Atmosphäre der Erzählung verdeutlicht. Viel Zeit nahm auch das Körpertraining der verschiedenen Bewegungsarten in Anspruch.
Die Entscheidung dafür, dass die Darstellung der Enge der Gänge und Plätze sowie die Niedrigkeit des Gewölbes auch durch Haltung und Bewegung sichtbar werden sollte, machte ein gebücktes Laufen erforderlich, welches dann auch durchgehalten werden musste. Lediglich ein paar wenige Szenen spielten „Draußen“ – hier konnten sich die Darsteller/-innen ein wenig aufrichten. Es mussten in der Erarbeitung und bei den Proben immer wieder Körperentspannungs- und -spannungsübungen eingeschoben werden, um Muskulatur und Wirbelsäule zu entlasten.
Einmal mehr bestätigte sich durch die Arbeit an diesem Projekt, wie wichtig ein gut durchdachtes, vorbereitendes Warm-up für den Unterricht ist.
Eine weitere Herausforderung bestand in der atmosphärischen Vermittlung des Daseins unseres „Wesens“ in einem unterirdischen Bau, in einem Labyrinth.
Es war unser Anliegen, dass auch das Publikum eine sinnliche Wahrnehmung der klaustrophobischen Raumsituation der Figur erhält: Enge, Rascheln, flinkes Hin- und Herflitzen, Unsicherheit, widersprüchliches Bewegen sollten den Zuschauenden einen sehr nahen, intimen Einblick in die Welt des Wesens geben. In unserer Aula konnten wir diese Atmosphäre erschaffen. Die Bühnensituation beim SdL wurde dieser Intention jedoch leider nicht gerecht: Wir traten in einem riesengroßen Theaterraum mit ca. 1.000 Plätzen auf. Der kleine „Bau-Ausschnitt“ unseres Stückes erschien uns fast wie das Erleben eines fernen „Puppentheaters“ – es war kaum möglich, den Zuschauenden dieselbe räumlich-atmosphärische Nähe zu vermitteln, die wir in einem kleinen Bühnenraum herstellen konnten.